Gino




Die fabelhafte Fibel

Der Hund, der Mensch und die Leichtigkeit des Seins

Vorwort

Mein Name ist Vladimír Novák, geboren und aufgewachsen bin ich in der ehemaligen Tschechoslowakei, der heutigen Tschechischen Republik. Großes Glück war es, daß mir als Kind und Jugendlicher ein paar Regeln und Grenzen erklärt und gesetzt wurden, was nicht immer auf mein vollstes Verständnis stoß. Mein Beruflicher Werdegang tut nichts zur Sache, was mich mit Sicherheit geprägt hat ist die Zeit, in der ich Hochleistungssport betrieb (Leichtathletik - mittlere und lange Strecken, von 800m bis zum Halbmarathon). Leistungssport betreibe ich bis heute. Seit 1988 lebe ich in Deutschland.

Es gibt Menschen, die mich begleiten, die meiner Seele gut tun, obwohl sie nichts von mir wissen: Herr Jiří Ledvinka, Herr Jaroslav Dušek und seine Gäste aus der Sendung „Duše K“, Herr Clemens Kuby und andere. Ihnen allen möchte ich danken, daß sie den Mut haben, so zu sein, wie sie sind, sich selbst treu bleiben und uns allen die Möglichkeit bieten, an ihrem Erfahrungsschatz und ihrer Reinheit teilzunehmen.
Es gibt Menschen, die mich kennen, mich begleiten, mir oft Mut zusprechen, vielleicht ohne es zu wissen. Derer bloße Anwesenheit und Kontakt mit Ihnen sind für mich von unermeßlicher Bedeutung. Heinz, Ywette, auch euch gehört mein Dank!
Ganz spezielles Dankeschön geht an Jiri, den Menschen, der mich am besten kennt, ohne sie würden diese Zeilen gar nicht erst entstehen können. Danken will ich unseren treuen Begleitern, den Hunden. Einige von ihnen werden auch Sie kennenlernen, zwei von ihnen etwas näher: Gino, den König mit dem alles anfing und Nero, der zu mir kam ohne zu fragen, mein ganzes Leben etwas aus den Fugen hob und umkrempelte. Bei ihm durfte ich lernen, daß nichts unmöglich ist, daß es unsere Wahrnehmung ist, die viele Sachen erst unmöglich erscheinen läßt - eine Illusion.

Wenn ich gefragt werde, ob ich ein Hundetrainer bin, ist meine Antwort ein klares „Nein“. Selbst bezeichne ich mich als Hundepsychologe. Ohne Bezeichnungen geht es in unserer Kultur halt nicht, also habe ich eine auch für mich. Im Bezug auf Hunde habe ich nur ein Ziel: es soll ihnen möglichst gut gehen, ES GEHT IMMER UM DEN HUND.
Auf den folgenden Seiten finden Sie nicht unbedingt das, was andere schon oft genug geschrieben und viele von Ihnen bereits gelesen haben. Meine Absicht ist es nicht, allen zu gefallen und ihnen Recht zu geben. Diese Zeilen sollen das Thema Hund anders, von einer anderen Seite angehen. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung und erhebt keinen Anspruch, eine zu sein.
Was ich hier schreibe basiert vom großen Teil auf meinen eigenen Beobachtungen, Überlegungen, Empfindungen und Auslegungen, nicht darauf, was ich gelesen oder gehört habe. Es ist meine eigene Interpretation der Wirklichkeit. Sie finden hier keine Methode, einfach deswegen, weil ich keine feste Methode habe. Meine Ansichten und Meinungen werden nicht jeden ansprechen, sie sind nicht wissenschaftlich belegt und/oder mit Studien untermauert. Ich weiß überhaupt nicht woher sie kommen, aber sie sind da.

Verzeichnis

A
Am Anfang
Alternativverhalten
Angst
Antiautoritär
Aufgabe
Aufmerksamkeit

B
Belohnung
Beziehung
Bindung

D
Demokratie
Distanz
Dominanz

E
Ego
Eigenverantwortung
Emotionen
Energie
Erfahrung
Experten

F
Fragen
Freiheit

G
Geschichten
Geschirr
Grenzen

H
Hund

I
Illusion

K
Körpersprache
Kommunikation statt Konfrontation
Konflikte
Konsequenz
Kontakt statt Kontrolle

L
Leine
Liebe
Lösung (Einfachheit)

M
Mensch
Methode

O
Orientierung

P
Pragmatisch
Prinzip

Q
Quelle

R
Rasse
Raum
Reden
Regeln
Respekt

S
Selbstbelohnend
Selbstreflektion
Signale
Situation
Spezialisierung
Stille
Streicheln oder Kraulen
Streß
Symptome
System

T
Theorie(n)
Tier
Training

U
Unterschied
Ursache

V
Verhalten, Verhaltensweisen
Vertrauen statt Vertrag

W
Warnen
Wirklichkeit

Z
Zucht
Zuneigung
Zutexten


Am Anfang

Am Anfang steht der Hund, alles dreht sich um den Hund, es geht immer nur um den Hund. Darum, seine Perspektive, sein Verhalten als Reaktion auf sein Umfeld, also auch auf uns Menschen zu verstehen.
Das ist der wichtigste Gedanke, den wir Menschen verinnerlichen sollten, wenn wir mit Hunden umgehen. Das ist das Motto nach dem sich mein Denken und Handeln orientiert. Ununterbrochen kontrolliere ich meine Einstellung, jeder Situation will ich offen begegnen, damit ich flexibel reagieren kann. Wie bei einem Hund, der in Sekundenbruchteilen sein Verhalten neu ausrichtet und dem Umfeld, den Umständen anpasst.

Alternativverhalten

Eine sehr gute Methode, in einer kritischen Situation einen Hund zu lenken. Allerdings ist es auch bei diesem Thema wie mit der Atomenergie: sie kann dienen oder auch katastrophale Folgen haben.
Beispiel: bei einer Familie kamen schon 2 Hundeschulen und eine Hundetrainerin zum Einsatz. Vor allem bei den Besuchen gab es Schwierigkeiten, der mittelgroße Mischling bellte jeden Besucher laut an und wollte ihn vertreiben. Die Hundetrainerin empfahl, den Hund in die Box zu schicken. Der Hund musste unter großen Protesten seinerseits in die Box geschoben werden und bellte auch da weiter. Daraufhin kam das Alternativverhalten zum Einsatz. Der bellende, gestresste Hund bekam einen Kauknochen und wurde in die Box gesperrt. „Damit er sich mit etwas anderem beschäftigen kann und auf andere Gedanken kommt“, so die Hundetrainerin.
So wie hier beschrieben ist es KEIN Alternativverhalten. Der springende Punkt ist die Abfolge der Handlungen an. Die Hundetrainerin bietet dem Hund keinen Ansatz, wie er sich verhalten soll, empfiehlt den gestressten, protestierenden Hund in die Box zu sperren und wirft ihm einen Knochen hin. Wenn der Hund es in seiner Aufregung überhaupt schafft, sich dem Kauknochen zuzuwenden, entscheidet er selbst, was und wann er macht, ohne jeglichen Bezug zu seinem Menschen. Wenn es ganz dumm läuft, wird er den Kauknochen als Belohnung für sein aggressives Verhalten verstehen und sich beim nächsten Mal noch mehr aufführen, um es sich zu verdienen.
Wichtig ist, den Hund zuerst dazu zu bringen, daß er uns folgt und uns seine Aufmerksamkeit schenkt. Wenn er uns auf unsere Aufforderung das gewünschte Verhalten anbietet, kommt die Bestätigung – das richtige Verhalten wird belohnt. Ob es nun ein Kauknochen, ein Leckerli, Lob oder Zuneigung ist, das spielt keine Rolle. Nehmen Sie einfach das, was funktioniert und was Ihnen am besten zusagt.
Wir korrigieren oder belohnen IMMER den augenblicklichen Zustand des Hundes, sein aktuelles Verhalten. Wenn ein Hund bellt, aggressiv ist und einen Kauknochen oder Leckerli bekommt, wird dadurch dieses Verhalten bestätigt – hier also das Bellen und Aggressivität.
Der richtige Ablauf sieht in etwa so aus:
Der Hund bellt, wir versuchen seine Aufmerksamkeit umzulenken. Wenn wir mit dem Hund das Alternativverhalten noch nicht geübt haben, sollten wir den Hund an die Leine nehmen, um ihn besser kontrollieren zu können. Ganz sachte mit kurzen Impulsen holen wir den Hund zu uns. Ist er bei uns angekommen, beanspruchen wir seine Aufmerksamkeit, der Hund soll uns anschauen. Um es für den Hund einfacher zu machen, können wir die Distanz zwischen ihm und dem Reiz vergrößern. Schaut uns der Hund an, laden wir ihn ein, mit uns in die andere Richtung zu gehen. Hier reichen schon ein, zwei Schritte. Reagiert der Hund wie gewünscht, wird er sofort belohnt.
Wichtig: KEINE Kommandos!
Wenn wir mit dem Hund das Alternativverhalten zuerst ohne Reiz üben wollen, bleiben wir neben dem gesicherten Hund stehen und warten einfach nur ab. Gesichert deswegen, damit er keine Möglichkeit bekommt, sich ein Alternativverhalten selbst auszusuchen (weggehen oder sich mit anderen Sachen wie Schnüffeln beschäftigen). Schaut uns der Hund an, zeigen wir ihm, was wir von ihm wollen: wir laden den Hund ein, mit uns ein paar Schritte in die andere Richtung zu laufen. Tut er das, wird er sofort belohnt.
Wenn unser Verhalten für den Vierbeiner neu sein sollte, wird er anfangs wahrscheinlich überrascht sein und uns etwas zögernd und ungläubig folgen. Das macht nichts, Übung macht den Meister. Nach ein paar Wiederholungen wird sich der Ablauf festigen und wir bekommen einen Hund, der uns mit Freude folgt.

Angst

Die häufigste Ursache für aggressives Verhalten. Ein ängstlicher Hund ist ein gestreßter Hund. Oft ist es der Mensch, der die Angst bei seinem Hund kultiviert. Da wir wissen, dass Hunde unsere Energie spiegeln, ist es nur logisch: ein ängstlicher Mensch kann seinen Hund zum Wahnsinn treiben. Oft erleben wir einen Teufelskreis – der Mensch wird durch ein Erlebnis (z. B. eine etwas wildere Hundebegegnung) unsicher. Beim nächsten Mal, wenn er wieder einen fremden Hund sieht, wird er nervös, der eigene Hund reagiert auf seine Unsicherheit und schon drehen wir uns im Kreise. Der Mensch beeinflußt den Hund, der Hund den Menschen.
Viele versuchen einen ängstlichen Hund zu trösten ("ist ja guuut"), was ein kapitaler Fehler ist. Bitte, unterlassen Sie es. Ein Hund kann nicht wie ein Kind getröstet werden. Wenn wir einen ängstlichen Hund streicheln oder auf ihn einreden, bestätigen wir die Angst. Das wird uns der Hund danken, indem er noch ängstlicher wird. Durch das Streicheln und Zureden geben wir dem Hund die Information, daß Angst das richtige Verhalten ist.
Lösungseinsatz: bleiben Sie einfach nur ruhig und seien Sie für Ihren Hund da. Ein Körperkontakt (noch einmal: kein Streicheln) hilft, die ruhige Energie vom Menschen zum Hund zu übertragen.
Bei kleinen Hunden nehmen einige Hundehalter in Streßsituationen ihren Hund hoch auf den Arm. Das macht die Kleinen zur Beute. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wurde eine Frau mit ihrem Hund in den Armen von einem Schäferhund attackiert und schwer verletzt. Nicht nur körperlich.
Bei Begegnungen mit Artgenossen zeigen viele Hunde Anzeichen von Angst. Sie machen sich klein, die Rute wird eingeklemmt. Das ist ein normales deeskalierendes Verhalten, so kommunizieren sie den anderen, daß sie keinen Ärger wollen und bereit sind sich zu unterordnen. Es dient dazu, in das Rudel oder von dem einzelnen angenommen zu werden. Geben wir den Hunden etwas Zeit, tauen sie auf, die Körpersprache verändert sich, sie finden ihre Selbstsicherheit wieder und los geht’s. Nach wenigen Sekunden laufen die Hunde zusammen. Es ist wichtig, den Hunden die Gelegenheit zu geben, die Begegnung auf ihre Art und Weise, in ihrem Tempo abzuschließen. (Diesen Satz werden Sie noch ein paar Mal von mir hören/lesen.) Einfach ausgedrückt: da müssen die Fellnasen durch. So lernen sie, daß Begegnungen mit Artgenossen entspannt ablaufen können, die soziale Kompetenz wird geschult. Die Hunde und ihre Halter bekommen immer mehr Routine, werden entspannter.
Im Gegensatz dazu gibt es Hundehalter, die ihrem Hund vor der Angst beschützen wollen. Sie geben ihrem Hund keine Möglichkeit, die seit Jahrtausenden etablierte Vorgehensweise zu Ende durchzuspielen, „retten“ ihn lieber aus der Situation. „Wenn er nicht will, dann will er nicht“.

Antiautoritär

Das, was schon bei Menschen erwiesener Maßen nicht funktioniert (man schaue sich nur um), wollen wir nun unbedingt auch unseren Hunden antun. Eine Bitte an alle Hundehalter: schenken Sie Ihrem Hund die Führung.
Ein Hund ohne Führung ist verloren und wird mit den Situationen des Alltags nur schwer fertig. Hier ein Bild zur Veranschaulichung:
Die Verkehrsampel: die Ampel steht auf rot, wir erklären unserem Kind nicht, was es mit der roten Ampel auf sich hat, das Kind soll es selber herausfinden.
Die meisten Hunde erwarten von uns Menschen eine Führung und Informationen, die sie brauchen, um sich im Leben und in der Welt gut orientieren zu können. Wenn wir ihnen die Führung nicht geben und/oder die Informationen verweigern, werden wir unseren Hunden nicht gerecht.
Es gibt viele unterschiedliche Charaktere unter den Hunden. Die meisten sind für eine Führungsrolle nicht geboren, wollen keine eigenen Entscheidungen treffen. Wenn wir sie dazu verleiten, daß sie keine andere Möglichkeit sehen als die Situationen des Alltags für das Rudel zu händeln, bedeutet es für die Hunde Streß pur.

Aufgabe

Ein Beispiel, wie sich mir eine Aufgabe darstellt:
bei einem „meiner“ Hunde, einem jungen Schäferhund mit hohem Energielevel gab ich die Empfehlung, ihn im Alltag mit kleinen Aufgaben zu konfrontieren und zu fordern. Die Antwort war: „Ja, das machen wir. Ich werfe ihm bei den Spaziergängen ein Frisbee, damit er es jagen und sich auspowern kann“. Meine Antwort war: „Das ist weniger eine Aufgabe, das ist vielmehr ein Spiel, das zum Ausschütten von Adrenalin führt, was wir in unserem Fall überhaupt nicht gebrauchen können, da der Hund auch so schon ein sehr hohes Energieniveau hat und kaum zur Ruhe kommt.
Mit Aufgaben meine ich z. B. einfache Grundgehorsam-Übungen wie Rückrufsignal oder Impulskontrolle. Während des Spaziergangs den Hund zu sich rufen, wenn er kommt, loben und sofort wieder frei geben. Oder den Hund absitzen und warten lassen, während für ihn z. B. ein Stück Trockenfutter versteckt wird, das er sich dann erschnüffeln und verdienen darf. Das sind Aufgaben, Frisbee Werfen eher weniger.

Aufmerksamkeit

Wenn wir von unserem Hund nicht die erforderliche Aufmerksamkeit bekommen, kann es verschiedene Ursachen haben: fehlende Bindung, der Hund sieht seinen Menschen als rangniedriger an, oder wir haben einen jungen Hund, der seine Grenzen austesten und die Welt entdecken will.
Vertrauen und Urvertrauen sind zwei verschiedene Begriffe. Ein Hund kann mir vertrauen, das Urvertrauen kann trotzdem fehlen. Wenn wir unseren Hunden das Urvertrauen nicht vermitteln können, werden sie in kritischen Situationen keinen Kontakt zu uns suchen, sondern um das Überleben des Rudels sorgen und von uns erwarten, daß wir ihnen gehorchen.
Aufmerksamkeit unseres Hundes zu bekommen ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches gemeinsames Leben. Wenn wir wissen, daß sich die einzelnen Verhaltenskreise ihrer Hierarchie nach gegenseitig ausschalten (Hunde können kein Multitasking), wird uns klar, daß ein Hund, der sich einem in seinen Augen gefährlichen Reiz ausgesetzt sieht, der Angst um sich und sein Rudel hat, gar nicht die Möglichkeit hat, uns seine Aufmerksamkeit zu geben. Es sei denn, er hat unsere Rolle als Rudelführer bereits erkannt und akzeptiert.

Belohnung

Die größte Belohnung für einen Hund ist die Zuneigung seines Menschen.
Viele Hundehalter und nicht nur Hundehalter denken, daß sie sich die Liebe eines Hundes erkaufen müssen. Ich glaube nicht, daß es in der freien Wildbahn nur einen einzigen Rudelführer gibt, der seine Rudelmitglieder bestechen will. Es gibt keine Leckerlis oder ähnliches. Hunde und Wölfe absolvieren in der freien Wildbahn auch keine Trainingsrunden mit positiver Verstärkung.
Am liebsten belohne ich meine Hunde mit Berührungen, positiver Körpersprache und Mimik. Gerne kraule ich sie, meistens an der Schulter. Das gibt einen direkten Kontakt zwischen Tier und Mensch und stärkt die Bindung. Im Freilauf, während unserer Spaziergänge, biete ich den Hunden, die zu mir kommen, um Kontakt mit mir zu suchen eine offene Handfläche an, damit sie sie mit ihrer Schnauze berühren können. Mehr mache ich nicht.
Das ist meine Art, mit Hunden zu kommunizieren. Wie gesagt, die Bezeichnung Hundetrainer trifft auf mich nicht zu, mir geht es nicht um Training, sondern um Kommunikation, um zufriedene und entspannte Hunde.
Im Training setzt man auf positive Verstärkung, überwiegend werden hier Leckerlis eingesetzt.
Auf meine Frage, ob den Hundehaltern in den Trainingsstunden erklärt wird, daß der Einsatz von Leckerlis nach und nach abgebaut werden soll, antwortete noch keiner von ihnen mit "Ja".

Bindung

Das wichtigste überhaupt. Ohne eine richtige Bindung zu unseren Hunden sind die Probleme vorprogrammiert. Ohne Bindung läuft das Trainieren ins Leere. Kleine oder auch größere Fortschritte können verzeichnet werden, die Probleme im Alltag bleiben bestehen.
Das fällt immer wieder auf. Viele Hundeschulen und Hundetrainer setzen bei Verhaltensproblemen Training ein und wollen so eine Lösung für ein Problemverhalten herbeiführen. Langsam schleicht sich bei mir der Verdacht ein, daß die meisten gar nicht wissen, daß Training und Kommunikation zwei völlig verschiedene Ansätze sind. Ein Problemverhalten ist kein Problem, sondern ein Symptom.
Wenn wir mit einem Hund leben, der unerwünschtes Verhalten zeigt, liegt es oft an der mangelnden Führung. Die Bindung, das absolute Vertrauen sind noch nicht vorhanden. Bei einem Hund, der zu mir noch keine Bindung aufbauen konnte, wird Training, wenn überhaupt, sehr wenig bewirken. Ein Hund, der mir und meiner Führung nicht vertraut, wird sich von mir nur schwer trainieren lassen. Wenn ein Mensch seinen Hund in einer Streßsituation korrigieren will und der Hund nach seinem Menschen schnappt, ist es ein klares Indiz dafür, wie die Hierarchie im Rudel (also in der Familie) für den Hund aussieht.

Demokratie

Im Neuen Testament wird die Geschichte von Barabbas erzählt. Der Verbrecher wird vom laut schreienden Volk demokratisch gewählt und freigesprochen, die Wahrheit und die Liebe enden am Kreuze. Böse, wer Böses denkt.

Die Voraussetzungen für eine wirkliche, gut gehende Demokratie:
• Niemand lügt, vor allem nicht die „Verantwortlichen“
• Es gibt keine niedrigen Triebe wie Gier nach Macht, Geld und Anerkennung
• Der Mensch lässt sich nicht manipulieren, sondern bildet sich seine Meinung selbst.
• Es gibt keine Gruppendynamik, die Masse ist und verhält sich intelligent.
Wenn wir alle 4 Punkte mit "JA, STIMMT" beantworten können, leben wir in einer echten Demokratie.
In Umgang mit Hunden funktioniert keine Demokratie und keine Gleichberechtigung.
Hier gilt das gleiche Prinzip wie bei der antiautoritären Erziehung.
Wenn wir versuchen, in den wichtigen Fragen den Hunden die Entscheidung zu überlassen, wird es in vielen Fällen zu Problemen führen. In den kleinen Entscheidungen (welche Richtung schlagen wir bei einem Spaziergang ein) lasse ich einige meiner erwachsenen Hunde gerne selbst entscheiden. So steigern wir ihr Selbstbewusstsein.

Distanz

Jeder Mensch, jeder Hund hat seine individuelle Distanz. Bei Hundebegegnungen, die viel Streß verursachen, können wir sehr gut mit Distanz arbeiten. Ist es unserem Hund nicht möglich, eine Hundebegegnung ruhig zu bewältigen, vergrößern wir die Distanz zu seinem Gegenüber indem wir rückwärts (bitte nicht umdrehen!) gehen und unseren Hund mit kurzen Impulsen an der Leine zu uns lotsen, bis er von sich aus einen kleinen Bogen macht und an unserer Seite zum Stehen kommt, dann beobachten wir zusammen mit unserem Hund in aller Ruhe die Situation. Ein Körperkontakt vermittelt unserem Hund mehr Sicherheit, wichtig ist, daß wir selbst absolut ruhig sind, damit wir unserem Hund die richtige Energie übermitteln können. Ist unser Hund ruhig, gehen wir wieder auf den Reiz zu. Sie werden sehr schnell merken, welche Distanz Ihr Hund noch gut vertragen kann.
Es heißt also, die Distanz vergrößern, den Hund zur Ruhe bringen, ihn beobachten lassen und wieder auf den Reiz, den anderen Hund zugehen. So merkt ihr Hund mit der Zeit, daß andere Hunde keine Gefahr für ihn und Sie sind und daß er an der Seite seines Menschen jede Situation gut meistern kann.
Auch hier macht die Übung den Meister. Wir zeigen dem Hund immer wieder, wie er mit einer für ihn kritischen Situation umgehen soll, nämlich ruhig und entspannt. Wichtig ist, den Hund erst dann rauszunehmen, wenn er die Situation zu Ende verarbeiten konnte und seine Ruhe wieder gefunden hat. Der Hund speichert den Zustand ab, in dem er aus einer Situation, einer Begegnung weggeführt wird und verknüpft seinen (End)Zustand, seine Haltung mit dem jeweiligen Erlebnis - also entweder mit Ruhe oder mit Streß.

Dominanz

„Das Adjektiv gibt es im deutschen Sprachgebrauch etwa seit dem 18. Jahrhundert. Es ist dem lateinischen dominārī (herrschen) entlehnt und wurde zuerst als musikalischer Begriff seit dem 17. Jahrhundert verwendet, um den fünften Ton einer Tonleiter zu benennen. Dominant bedeutet grundsätzlich vorherrschend, bestimmend, maßgebend, entscheidend. Allerdings kann das Wort auch negativ konnotiert sein, vor allen Dingen in der Psychologie. Dann bedeutet es arrogant, großtuerisch, überheblich, anmaßend“. (Focus.de, 21. 04. 2021)
Bemerkung: „In der Psychologie“ – hier ist wohl (oder ganz eindeutig) die menschliche Psychologie gemeint.

Ein Thema, zu dem viel gesagt und geschrieben wurde und wird und die Meinungen könnten kaum unterschiedlicher sein.
Dominanz ist in der Tierwelt lebensnotwendig und etwas völlig normales. Unser menschliches Denken gibt diesem Wort einen unangenehmen Beigeschmack, was wohl mit unserer Erziehung zu tun hat.
Tatsache ist, dass Hunde oft sogar dominiert werden wollen. Das konnte ich einige Male schon beobachten. Ein ranghöheres Tier putzt ein rangniedrigeres ziemlich herunter, das rangniedrigere kommt dann immer wieder zu dem ranghöheren und bettelt regelrecht um die nächste Lektion.
Die Rolle des Rudelführers ist in meiner Hundebetreuung vergeben. Über die Strukturen und Verhältnisse bei uns kann ich sagen, daß Hunde, die zu Hause keine eindeutige Hierarchie genießen dürfen, oft erst bei mir zur Ruhe kommen. Der Rudelführer wird angehimmelt, so ist es nun mal bei unseren Fellnasen. Klare Verhältnisse helfen ihnen, sich zu entspannen.
Sogar unser Gino, ein autonomer Leithund, der sich noch nie unterworfen hat, weder einem Hund noch einem Menschen, erwartet von mir, dass ich mich bei Bedarf um die Belange im Rudel kümmere und in den Streßsituationen für Ruhe sorge.
Im Gegensatz dazu steht die Aussage: „Trainieren statt Dominieren“. Diese Aussage kommt nicht von irgendwem, sondern von einer offiziellen Stelle, einer hochdekorierten Hundetrainerin.
Last but not least: Dominanz ist keine Eigenschaft, sondern eine Beziehung. Ich frage mich dann immer, wie man ein dominantes Tier wohl anders bezeichnen könnte?
Unsere Hunde brauchen zu ihrem Glück unter anderem die Gewissheit, dass sie sich auf ihre Menschen verlassen können. Wenn wir ihnen statt Führung über verschiedene Kleinigkeiten unsere Schwäche signalisieren, ist es aus mit dem entspannten Dasein. Der Job als Rudelführer ist nun mal nicht einfach und die meisten unserer Hunde werden durch die Übernahme der freien Stelle schlichtweg überfordert.

Emotionen

Wo man nur hinschaut, überall werden sie uns angeboten und verkauft - die Emotionen. Weinende Supersportler, die bei ihren Siegen „die ganze Skala der Emotionen durchleben“. In den vielen Fernsehsendungen, wo die Jury der eigentliche Star ist werden die angeworbenen Protagonisten bis aufs kleinste auseinandergenommen. Es werden Glücksmomente und Enttäuschungen in Großaufnahme und Zeitlupe gezeigt. Kaum jemand denkt die gezeigte Situation zu Ende, wie in einem Märchen: wenn sie nicht gestorben sind, leben sie glücklich bis heute.
Ähnlich ist es bei einigen Sendungen über Hunde, Show geht vor Sachlichkeit.
Das alles kann den Eindruck vermitteln, daß Emotionen wichtig und richtig sind. Emotionen alleine reichen aber nicht, sie müssen auch noch zur Schau gestellt werden. Im Umgang mit Hunden eines der Grundprobleme.
Hunde wissen nicht, was menschliche Emotionen sind. Trauer, Frust, Mitleid, Selbstmitleid, übertriebene Liebe und Fürsorglichkeit, das alles nehmen unsere Hunde als schwache Energie wahr. Ihren geliebten Menschen, der sich in ihren Augen schwach zeigt, wollen die Hunde dann beschützen.

Energie

Energie ist alles.

Schauen wir uns die zwei für uns relevanten Arten der Energie an:
Es gibt eine stabile, starke Energie und es gibt eine labile, schwache Energie. Die Welt der Hunde ist in diesem Bezug schwarzweiß.
Unsere Hunde wissen nicht, was Mitleid, Frustration, Selbstmitleid, Nervosität, Selbstzweifel, Alltagssorgen o. ä. sind, sie spüren aber die Energie. Ob von Hund oder Mensch, starke, stabile Energie tut gut, labile, schwache Energie dagegen kann unter Umständen sogar angegriffen werden.
Folgendes passiert mir immer wieder: ein Klient kommt mit seinem Hund zu mir. Der Hund führt sich auf, kann sich nicht beruhigen, springt in die Leine, hier und her, wie ein Jojo. Um die Situation zu entschärfen, übernehme ich den Hund, innerhalb von kurzer Zeit haben wir ein Lämmchen an der Leine. Gut, die Situation ist also beruhigt, nun kann der Hundehalter seinen Hund wieder übernehmen. In dem Moment wo wir die Leine tauschen dauert es keine 5 Sekunden, der Hund führt sich wieder auf und wir haben wieder ein Jojo.
Es kann für den Hundehalter frustrierend sein, so etwas immer wieder zu erleben. Gut, was sagt es uns? Irgendetwas wird bei jedem von uns anders sein. Es gibt einen Unterschied darin, was wir beide ausstrahlen, wie uns der Hund wahrnimmt. Versuchen wir es mit folgender Erklärung: ich denke nicht darüber nach, was und wie ich es machen soll, der Hundehalter ist in seinen Gedanken und Sorgen befangen. Einmal habe ich zu jemand gesagt: „sei primitiv, so wie ich“. „Bist du ja gar nicht“, kam es zurück.
Bei den Tieren, somit auch bei unseren Hunden ist der Weg zwischen Impuls und Aktion direkt, unkompliziert, alles geschieht hier sehr schnell, ohne „Verfälschung“. Der Mensch der heutigen Zeit dagegen hat einiges zu verarbeiten, bevor er sich zu einer Entscheidung für eine Aktion durchdringt. Das kulturelle Erbe, die Erziehung. So wie bei Hamlet – sein oder nicht sein? Tun oder nicht tun? Und wenn tun, wie? Ist es politisch korrekt, was ich hier mache? Darf ich denn überhaupt? Das Ergebnis ist eine zögerliche Haltung ohne Präsenz.
Bei dem Hund kommt ein Wirrwarr an widersprüchlichen Informationen an, das er nicht entwirren kann und dementsprechend reagiert er - mit Protest. Er springt rum, führt sich auf, gehorcht nicht. Dieser Energie kann er auch gar nicht gehorchen. Als reines Instinktivwesen hat der Hund keine Chance, bei einem solchen Gefühlschaos gelassen zu bleiben.
Im Grunde ist alles absolut einfach und unkompliziert und für meine Begriffe könnte man die ganze Thematik, wie wir mit schwierigen Hunden oder Hunden mit Verhaltensauffälligkeiten umgehen sollen mit wenigen Sätzen umschreiben.

Die Zutaten sind:

• Innere Ruhe – in der Ruhe liegt die Kraft, sagt man. Drehen wir diesen Satz um, kommt dabei raus: Kraft liegt in der Ruhe.
• Natürliche Präsenz – dito
• Stille – wichtig! Bitte nicht reden, Kommandos schon mal gar nicht. Wir erinnern uns: kein Training sonder Kommunikation.
• Respekt – noch einmal. Gemeint Respekt dem Hund und der Situation gegenüber.
• Betont langsame Bewegungen, vor allem bei nervösen und/oder unruhigen Hunden
• Unumstößlicher Optimismus, Überzeugung – früher oder später zeigt meine Haltung Wirkung
• Die Fähigkeit, vom bestimmten, harten Auftreten auf weiche Ausstrahlung innerhalb von Sekundenbruchteilen umzuschalten
• Nicht nachtragend sein

Oft beschreiben die Hundehalter die Situationen, die sie mit ihren Lieblingen erlebt haben bis ins kleinste Detail. Andere wiederum erzählen, wie schwer es ist, mit dem Hund zurecht zu kommen, was sie für ihn schon alles gemacht, auf sich genommen haben, was der Hund sie schon gekostet hat usw. Ob so oder so, alle haben etwas gemeinsam – offensichtlich sind sie enttäuscht, verunsichert, frustriert. Mein Rat in solchen Situationen ist: gehen Sie da raus aus diesem Empfinden, aus diesem Denken. Wenn Sie mit Ihrem Hund unterwegs oder einfach nur im Kontakt sind, schieben Sie Ihre Sorgen und Frustration beiseite. Machen Sie es wie die Hunde, seien Sie im Hier und Jetzt. Es gibt nur noch Sie und Ihren Hund für diesen Moment, nichts anderes.
Klingt vielleicht hart, ist es aber nicht. Es ist die Lösung, oder zumindest ein wichtiger Teil davon. Wenn die Hundehalter über die Erlebnisse und ihre Gedanken reden, haben sie leider keine Zeit, den Hunden zuzuschauen, bei ihnen zu sein. Dabei können wir von unseren Fellnasen so viel lernen: die pure Lebensfreude, die Reinheit und Echtheit, wie sie untereinander kommunizieren und miteinander umgehen. Mitten im Satz unterbrochen durch die Frage: „haben Sie das jetzt gesehen? Ist das nicht schön?“ kommt dann zurück: „ne, was denn?“.

Fragen

Wo bin ich? Bin ich bei mir, in meiner Mitte?
Wie fühle ich mich?
Was strahle ich aus, wie wirke ich auf meine Hunde? Was kommt bei ihnen an?

Versteht, ein Hund, was wir von ihm wollen in diesem Augenblick wollen?
Muss der Hund verstehen, was wir von ihm wollen?
Ist es einem Hund möglich, unsere menschliche Art zu kommunizieren zu verstehen?
Wer kann/sollte an seiner Kommunikation etwas ändern? Mensch oder Hund?

 

Wir empfehlen:

   


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